Zur Benachteiligung eines Arbeitnehmers anlässlich seiner Wahl in den Betriebsrat

Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 26.07.2010 – 5 SaGa 10/10

Wird einem Arbeitnehmer aus Anlass der Wahl in den Betriebsrat ein räumlich ungünstigeres Büro (Großraumbüro statt Arbeitszimmer mit zwei Arbeitsplätzen) zugewiesen, liegt eine Benachteiligung im Sinne des § 78 Satz 2 BetrVG vor.(Rn.25)

(Leitsatz des Gerichts)

Tenor

1. Der Verfügungsbeklagen wird aufgegeben, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes von bis zu 25.000,00 € die Verfügungsklägerin bis auf Weiteres in dem Büro Raum 3.315 Platznummer 3.038 oder in einer vergleichbaren Räumlichkeit zu beschäftigen.

2. Die Verfügungsbeklagte trägt die gesamten Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten im vorliegenden einstweiligen Verfügungsverfahren über die Anweisung der Verfügungsbeklagten an die Verfügungsklägerin, zukünftig nicht mehr in einem Zweierbüro sondern in einem Großraumbüro zu arbeiten.

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Die Verfügungsklägerin ist seit dem 01.04.2002 bei der Verfügungsbeklagten beschäftigt. Sie arbeitet als außertarifliche Angestellte mit der Funktion Teamleiterin Task Force in der Abteilung OPS Programme am Standort in B . Grundlage ist der schriftliche Arbeitsvertrag (Bl. 5 ff. d. A.).

3

Die Verfügungsklägerin hat ausweislich der Gehaltsabrechnung für den Monat Mai 2010 (Bl. 18 d. A.) ein monatliches Gehalt von 4.500,00 €, zudem geldwerte Vorteile aus einer PKW-Nutzung, aus denen sich ein monatliches Gesamteinkommen von 5.108,16 € ergibt.

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Ihre Tätigkeit führte sie im Raum 3.315 mit dem Platz 3.038 aus.

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Bei der Betriebsratswahl im Jahr 2010 wurde die Verfügungsklägerin in den Betriebsrat gewählt. Ihre Amtszeit begann am 17.03.2010. Im Betriebsrat bekleidet sie seither die Position der stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden.

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Am 31.05.2010 erhielt die Klägerin die Anweisung, mit Wirkung zum 11.06.2010 ihre Tätigkeit am Arbeitsplatz 3.050 auszuüben. Während es sich bei dem Arbeitsplatz 3.038 um einen Arbeitsplatz in einem Zweierbüro handelte, liegt der Arbeitsplatz 3.050 in einem Großraumbüro mit insgesamt 16 Arbeitsplätzen.

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Das Zweierbüro wurde zugleich benutzt von einem Mitarbeiter der Beklagten, der als rechte Hand einem der Geschäftsführer der Verfügungsbeklagten zuarbeitet.

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Die Verfügungsklägerin hat in der Zuweisung des neuen Arbeitsplatzes im Großraumbüro eine unzulässige Benachteiligung gesehen und sich auf § 78 BetrVG berufen.

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Mit ihrem am 11.06.2010 bei Gericht eingegangenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Klägerin beantragt,

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der Antragsgegnerin aufzugeben, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgelds bis zu 25.000,00 € gegen die gesetzlichen Vertreter der Antragsgegnerin, die Antragstellerin entgegen der Weisung der Antragsgegnerin vom 31.05.2010 bis auf Weiteres in dem ihr zugewiesenen Büro Raum 3.315 Platznummer 3.038 zu beschäftigen.

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Die Verfügungsbeklagte hat beantragt,

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die Verfügungsklage abzuweisen.

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Sie hat sich darauf berufen, dass Interessens- und Vertrauenskonflikte bei der ursprünglichen Besetzung des Zweierbüros nach der Wahl der Verfügungsklägerin in dem Betriebsrat zu befürchten seien.

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Durch Urteil vom 17.06.2010 hat das Arbeitsgericht die Verfügungsklage abgewiesen. Nach § 940 ZPO sei zum Erlass einer Regelungsverfügung erforderlich, dass sie zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten sei. Wesentliche Nachteile seien bei summarischer Prüfung nicht anzunehmen. Ein gesteigertes Abwehrinteresse gegen die Umsetzung vom bisherigen Zweierbüro in ein Großraumbüro sei nicht vorgetragen. Die Umsetzung sei zudem nicht offenkundig rechtswidrig, da das berechtigte Interesse der Verfügungsbeklagten, enge Mitarbeiter der Leitungsebene, die auch Mitbestimmungsvorgänge bearbeiteten, nicht zusammen in einem Büro mit Mitgliedern des Betriebsrates unterzubringen.

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Gegen dieses am 25.06.2010 zugestellte Urteil hat die Verfügungsklägerin durch am 13.07.2010 bei Gericht eingegangenen Schriftsatz Berufung einlegen und begründen lassen.

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Zur Begründung hat die Verfügungsklägerin geltend gemacht, die Arbeitsbedingungen in dem Großraumbüro hätten sich gegenüber ihrem bisherigen Arbeitsplatz erheblich verschlechtert. In diesem Büro werde viel telefoniert. Schallschutzmaßnahmen seien nicht vorhanden. Je nach Lautstärke des einzelnen Mitarbeiters könnten dessen Telefonate über den ganzen Raum hinweg mitgehört werden. Das Büro stehe jedermann offen. Besondere Zugangsbeschränkungen seien nicht vorhanden. In dem Büro sei im Übrigen ein Drucker und ein Kopierer aufgestellt. Diese Geräte dienten nicht nur den Mitarbeitern in dem Großraumbüro selbst, sondern würden auch von Mitarbeitern aus anderen Büros benutzt. Es herrsche ein ständiges Kommen und Gehen. Ein betriebsbedingter Grund für die Versetzung der Verfügungsklägerin aus dem ihr bisher zugewiesenen Zweierbüro in das Großraumbüro sei nicht ersichtlich. Der einzige Grund, warum die Klägerin dieses Büro zugewiesen bekommen habe, liege darin, dass sie in den Betriebsrat gewählt worden sei. Die Verfügungsklägerin habe deshalb mit e-mail vom 02.06.2010 um eine Begründung gebeten und gleichzeitig Varianten aufgezeigt, die sie akzeptieren könne. Die Verfügungsbeklagte sei hierauf nicht eingegangen. Organisatorische Gründe für die Versetzung seien nicht ersichtlich. Organisatorische Gründe sprächen vielmehr gegen diese Versetzung. Zudem habe die Verfügungsbeklagte bereits im Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht Bonn keinerlei Auskunft darüber erteilt, wie der freigewordene Platz der Verfügungsklägerin zukünftig besetzt werden solle. Die Mitglieder des Betriebsrats sähen in dieser Versetzung eine Maßregelung ihrer stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden. Dieser Eindruck sei gerechtfertigt, weil es betriebliche Gründe, wie vorgetragen und unter Beweis gestellt, nicht gebe.

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Die Verfügungsklägerin beantragt,

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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.06.2010, Aktenzeichen 3 Ga 27/10, die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, bei Meidung eines vom Gericht festzusetzenden Zwangsgeldes bis zu 25.000,00 € gegen die gesetzlichen Vertreter der Verfügungsbeklagten die Klägerin entgegen der Weisung der Verfügungsbeklagten vom 31.05.2010 bis auf weiteres in dem ihr zugewiesenen Büro Raum 3.315 Platznummer 3.038 zu beschäftigen.

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Die Verfügungsbeklagte beantragt,

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die Berufung der Verfügungsklägerin kostenpflichtig zurückweisen.

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Die Verfügungsbeklagte macht geltend, bei der Maßnahme handele es sich nicht um eine Versetzung, sondern um eine Umsetzung. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 78 BetrVG liege nicht vor. Eine Benachteiligung könne nur angenommen werden, wenn eine Schlechterstellung des Betriebsratsmitglieds im Verhältnis zu anderen Mitarbeitern in vergleichbarer Position unvertretbar und ohne die Betriebsratszugehörigkeit nicht ohne Verstoß gegen eine vertragliche Vereinbarung oder eine gesetzliche/tarifvertragliche Norm möglich wäre. Dies sei hier aber gerade nicht der Fall. Denn von den 14 in der Hauptverwaltung tätigen Teamleitern im Bereich Operations hätten 11 ihren Arbeitsplatz in Großraumbüros und nur 3 Teamleiter seien aufgrund der Anforderungen ihrer Aufgaben ein Arbeitsplatz in einem kleineren Zimmer zugewiesen worden. Dies gelte auch für Betriebsratsmitglieder, beispielsweise Frau T . Aufgaben der Klägerin rechtfertigten die Zuweisung eines Arbeitsplatzes in einem Zweierbüro nicht. Unrichtig sei, dass der neue Arbeitsplatz der Klägerin einem Durchgangsverkehr und einem ständigen Kommen und Gehen ausgesetzt sei. Auf die bereits erstinstanzlich aufgeführten sachlichen Gründe für die Umsetzung der Klägerin werde Bezug genommen. Ein Verfügungsgrund sei nicht ersichtlich.

22

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den Akteninhalt Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Verfügungsklägerin ist begründet. Unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils des Arbeitsgerichts Bonn vom 17.06.2010 3 Ga 27/10 war der Verfügungsbeklagten aufzugeben, die Verfügungsklägerin bis auf weiteres in dem bisherigen Büro oder einer vergleichbaren Räumlichkeit zu beschäftigen.

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1. Ein für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsanspruch ist nach dem Vorbringen der Parteien im Berufungsverfahren gegeben.

25

Der Anspruch folgt aus § 78 Satz 2 BetrVG. Die Verfügungsbeklagte ist auch bei der Ausübung ihres Weisungsrechts aus § 106 GewO an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden.

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2. Dabei ist § 78 Satz 2 BetrVG unmittelbar anspruchsbegründende Norm und erfasst nicht nur Ansprüche auf Beseitigung von Ungleichbehandlungen wegen der Amtstätigkeit, sondern auch wegen der Amtsstellung (BAG Beschluss vom 31.1.1990 – 7 ABR 39/89, BB 1991, 205 f; BAG Urteil vom 15.1.1992 – 7 AZR 194/91, AP Nr. 84 zu § 37 BetrVG 1972).

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3. Nach dem Ergebnis des Berufungsverfahrens geht die Kammer davon aus, dass mit der Umsetzung der Klägerin in das Großraumbüro eine sachliche nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der Klägerin vollzogen wird, die nicht aufrechterhalten werden kann.

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a. Aus den Erörterungen in der mündlichen Verhandlung hat sich für die Kammer ergeben, dass von den Teamleitern diejenigen, die über ein eigenes Team verfügen, regelmäßig bei ihrem Team und in entsprechenden Großraumbüros untergebracht sind. Hingegen waren bei der Verfügungsbeklagten einschließlich der Klägerin insgesamt 4 Teamleiter tätig, die über kein eigenes Team verfügten bzw. bei denen die Teamleitungsarbeit nicht im Vordergrund stand, und die jeweils in Arbeitsräumen mit einem oder zwei Arbeitsplätzen untergebracht waren. Dabei handelte es sich um Frau B , die im Controlling tätig war, Herrn P , Herrn Z und die Klägerin. Unverkennbar ist, dass bei diesen vier Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Stabsfunktionen angesiedelt waren, sei es im Controlling-Bereich wie bei Frau B , sei im Bereich der Personalplanung wie bei Herrn Z oder sei es im Bereich Task Force wie bei der Klägerin. In sich schlüssig ist auch der Vortrag der Verfügungsbeklagten, wonach die Teamleiter, die tatsächlich ein Team zu leiten hatten, in räumlicher Nähe zu ihren Teams in Großraumbüros unterzubringen waren.

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b. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass die Unterbringung der Klägerin seit November 2009 in einem Büro mit zwei Arbeitsplätzen diesen Grundüberlegungen entsprach und sachlich gerechtfertigt war. Den nunmehrigen Vortrag der Verfügungsbeklagten, es sei lediglich Zufall gewesen, dass die Verfügungsklägerin ab November 2009 in einem Büro mit zwei Arbeitsplätzen untergebracht gewesen sei, vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen.

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c. Des weiteren war zu berücksichtigen, dass die Verfügungsbeklagte abgesehen von der Wahl der Verfügungsklägerin in den Betriebsrat keinen nachvollziehbaren arbeitsorganisatorischen Grund hat benennen können, weshalb die Verfügungsklägerin künftig nicht mehr in einem Büro mit einem oder zwei Arbeitsplätzen arbeiten sollte. Insbesondere gab es aus arbeitsorganisatorischen Gründen keinen Anlass, die Klägerin deshalb in ein Großraumbüro umzusetzen, weil sie räumlich zukünftig mit einem bestimmten Team hätte zusammen arbeiten müssen. Daher muss davon ausgegangen werden, dass ohne die Wahl der Verfügungsklägerin in den Betriebsrat kein Anlass für eine Umsetzung bestanden hätte und eine solche auch nicht vorgenommen worden wäre. Die Verfügungsbeklagte hat auf gerichtliche Nachfrage in der Berufungsverhandlung, abgesehen von dem Trennungsaspekt aufgrund der Betriebsratswahl, keinen Grund benennen können, der ohne die Betriebsratswahl eine Umsetzung der Klägerin im Frühjahr 2010 erforderlich gemacht hätte.

31

d. Der von der Verfügungsbeklagten geltend gemachte Gesichtspunkt, der ebenfalls in dem Büro tätige Herr Z sei als rechte Hand eines der Geschäftsführer im Wesentlichen mit Planungen und Projekten und der Vorbereitung von Maßnahmen befasst, die mitbestimmungsrechtliche Fragestellungen beträfen, rechtfertigte nicht, die Verfügungsklägerin anders als die anderen Teamleiter mit Stabsfunktion in ein Großraumbüro zu versetzen.

32

Denn diese Konfliktsituation wäre auch anderweitig auflösbar gewesen, insbesondere dadurch dass beispielsweise der Mitarbeiter Z in das Einzelbüro des Herrn P umgezogen und Herr P das Zweiraumbüro mit der Klägerin geteilt hätte. Dies war auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Berufungsentscheidung möglich, da der ursprünglich von der Verfügungsklägerin besetzte Büroarbeitsplatz unbestritten nach wie vor frei ist. Nachdem unbestritten gebliebenen Vortrag der Verfügungsklägerin wäre auch eine räumliche Teilung des Büros, welches sie zuvor gemeinsam mit Herrn Z benutzt hat, möglich. Eine Notwendigkeit, den von der Verfügungsbeklagten-Seite angeführten Trennungsaspekt allein auf Kosten der Verfügungsklägerin zu lösen, bestand folglich nicht.

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4. Auch ein Verfügungsgrund ist nach summarischer Prüfung gegeben. Hierfür setzt § 940 ZPO voraus, dass dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Hierbei sind die wechselseitigen Interessen zu berücksichtigen und abzuwägen (Schwab/Weth, Kommentar zum Arbeitsgerichtsgesetz, 2. Auflage 2007, § 85 Rn.65).

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Dabei ist zu berücksichtigen, dass ohne den Erlass einer einstweiligen Verfügung der Anspruch der Verfügungsklägerin auf längere Sicht unmöglich gemacht und dies dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes zuwider laufen würde.

35

Andererseits sind wesentliche Nachteile auf Seiten der Verfügungsbeklagten für den Fall, dass eine einstweilige Verfügung erlassen wird, nicht ersichtlich. Dabei hat die Kammer insbesondere berücksichtigt, dass dem nachvollziehbaren Trennungsaspekt auch durch andere Raumverteilungen, wie bereits dargelegt, Rechnung getragen werden kann, ohne dass es dazu einer Umsetzung der Klägerin in ein Großraumbüro bedurft hätte.

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5. Der Verfügungsbeklagten war daher aufzugeben, die Verfügungsklägerin bis auf weiteres in dem bisherigen Büroraum oder in einer vergleichbaren Räumlichkeit zu beschäftigen. Damit obliegt es der Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin in der bisherigen Räumlichkeit zu beschäftigen oder eine vergleichbare Räumlichkeit, die ein oder zwei Arbeitsplätze in einem Zimmer vorsieht, der Verfügungsklägerin zuzuweisen.

37

6. Insgesamt hatte die Berufung der Verfügungsklägerin Erfolg. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

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